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Freitag, 21. Juni 2024

Ein junger Mensch auf dem Weg zur¨jck zu seinem Leben von vor drei Jahren (06/2021 - 06/2024)

Wenn ich jetzt den Titel so lese, dann durchfährt mich tatsächlich ein Schauer, es läuft mir kalt den Rücken hinunter und mein Herz ist aufgewühlt. Aber genau so ist es.

Denke ich genau drei Jahre zurück, dann war da unsere Welt nicht mehr in Ordnung. Ein paar Monate vorher hatte ich beim Y. schon Veränderungen festgestellt. Er ist immer zurückhaltender geworden, introvertierter, stiller, antriebsloser, verschlossener.

Im Sommerurlaub im August war der absolute Höhepunkt – er war in eine so tiefe Depression mit Angstzuständen und Panikattacken gefallen. Ich hätte nie gedacht, dass so etwas möglich ist.

der neue Schreibtisch 
Ab September 2021 waren wir dann in psychologischer/psychiatrischer Behandlung, die Medikation musste erst auf ihn abgestimmt werden. Leider ein ziemlich langer Prozess, denn erst nach einigen Wochen war es dann sicher, dass wir eine andere Kombination von neuen Medikamenten ausprobieren mussten. Jeder Patient reagiert anders auf die entsprechenden Medikamente, da ist viel Vertrauen zu den Ärzten, ganz viel Geduld und noch mehr Verständnis für den Patienten nötig. Und für den Rest der Familie.

Nach dem Winter 2020/2021 mit den ganzen Schliessungen aller Einrichtungen, C.-Ansteckungen Woche für Woche bei jedem einzelnen Familienmitglied, dem Schneesturm Philomena, der hier bei uns in Madrid nie erlebte Schneeverwehungen mit sich brachte, den immer übler werdenden Nachrichten fasste Y. scheinbar den Entschluss, irgendwie mit allem Schluss zu machen und zog förmlich aus seinem Zimmer aus. (Wir werden nie erfahren, was genau seine Gedanken waren, er hat ja Down-Syndrom, verbal können wir ihn vielfach nicht wirklich verstehen: wir denken seine Gedanken nicht, wir sprechen seine Sprache nicht. Er ist halt doch irgendwie ein Engel von einem anderen Stern). Er packte alle seine Bücher, alle seine Trophäen und Medaillen, alle seine Besitztümer in Kisten und brachte sie vom 2. Stock in die Garage. Er machte irgendwie einen Schluss-Strich unter seinem bisherigen Leben.

Du beobachtest das und es bricht dir das Herz wie dein Kind sich so verändert und direkt Abschied nimmt vom Bisherigen. Aber wir liessen ihn, wir versuchten es zwar vorsichtig, behutsam, aber letztendlich hinderten wir ihn dann doch nicht daran. Es war offensichtlich ein für alle Mal entschieden und wichtig für ihn. Von da ab lebte er, wenn er zuhause war (und das war ja ab da sehr häufig und langfristig der Fall), nur noch auf dem Sofa, völlig apathisch, völlig abwesend, stundenlang nur da sitzen. Nichts machen, nichts tun, einfach nur sitzen mit leerem Blick in den Fernseher hinein. Oder nur in den Raum. Er schlief bei uns im Schlafzimmer, nachts immer kontrollierend, ob wir noch da sind. Die ganzen letzten drei Jahre.

Und jetzt, vor ein paar Wochen – plötzlich – fing er an, vereinzelt bestimmte Dinge aus den Kisten in der Garage zu holen. Er wusste ganz genau, wo und in welcher Kiste er damals was verstaut hatte! Das finde ich so genial – ich hätte das sicherlich vergessen in dieser Zeit.

ein Teil seiner Stifte
Und danach Woche für Woche brachte er eine Kiste nach der anderen zurück in sein Zimmer. Er ist inzwischen wieder eingezogen in sein Zimmer, alle seine Sachen sind wieder einsortiert in den Regalen und in der Vitrine. Und er beginnt auch wieder nachts für mehrere Stunden in seinem Bett dort zu schlafen!

mit Fotos im PC als Vorlage
Er begann auch wieder Wünsche zu äussern – das war die ganzen drei Jahre nicht der Fall. Wenn er nicht völlig "durchdrehte" und schrie und tobte, kein Ton, kein Wunsch, kein nichts. Also wirklich nur die zwei Enden einer Skala: 0 oder 100. Und jetzt wünschte er sich einen neuen Schreibtisch, so wie der von seiner Schwester, in weiss bitte.

Ein Wunsch! Vom Y.! Nach so langer Zeit ein echter, klar artikulierter Wunsch von ihm. Klar, wir machten einen Familien-Ausflug und fuhren zum grossen Schweden für seinen neuen Schreibtisch, renovierten sein Zimmer – und jetzt verbringt er seit ca. 10 Tagen immer wieder und immer häufiger Zeit in seinem Zimmer an seinem neuen Schreibtisch mit PC und malen … Er geht selbst hinauf, bleibt über längere Zeit 1-2 Std., kommt runter, geht wieder nach oben, aus eigener Motivation, aus eigener Initiative! Sein Zimmer existiert wieder für ihn, er lebt wieder in seinem Zimmer, mit seinen eigenen Sachen. Er kommt zurück.

Wer hätte gedacht, dass einen sowas „Alltägliches“ so emotional berühren kann.

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